Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure stand vor dem Europäischen Gerichtshof auf dem Prüfstand.
Ein Beispiel: Ein Architekt wird von einem Bauherrn mit
Architektenleistungen für den Neubau des zu errichtenden
Einfamilienhauses beauftragt. Er soll Planungsleistungen erbringen, die
Bauantragsunterlagen zusammenstellen und während der Errichtung die
Bauüberwachung übernehmen. Architekt und Bauherr einigen sich
schriftlich auf einen Pauschalpreis in Höhe von 25.000 Euro für
sämtliche Leistungen. Die Bauausführung gestaltet sich wegen
unzuverlässigen ausführenden Unternehmen schwierig und dauert länger als
geplant. Dies sorgt für Spannungen zwischen dem Architekten und dem
Bauherrn. Nach der Fertigstellung des Objekts verlangt der Architekt von
dem Bauherrn 35.000 Euro anstelle der vereinbarten 25.000 Euro. Er
begründet dies damit, dass das Mindestsatzhonorar nach der HOAI bei
35.000 Euro liegt und die vertraglich vereinbarten 25.000 Euro eine
unzulässige und unwirksame „Mindestsatzunterschreitung“ darstellen.
Mit Urteil vom 04.07.2019 (Rs. C-377/17) hat der EuGH festgestellt, dass
die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus der
„Dienstleistungsrichtlinie“ verstoßen hat. Die in der HOAI verbindlich
festgelegten Honorare in Form von Mindest- und Höchstsätzen für
Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren sind nach Auffassung
des EuGH unverhältnismäßig.
Das Urteil hebt die HOAI jedoch nicht auf oder hält sie insgesamt für
unanwendbar. Vielmehr stellt es nur eine Vertragsverletzung der
Bundesrepublik Deutschland fest, verbunden mit der Verpflichtung, diese
zu beseitigen.
Ob die Entscheidung des EuGH sich unmittelbar auf laufende
Gerichtsverfahren auswirkt, ist noch streitig. Das Oberlandesgericht
Celle (Urteil vom 17.07.2019, 14 U 188/18) hat die Frage bejaht. Das
Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 23.07.2019, 21 U 24/18) ist anderer
Auffassung.
Aufgrund der Tatsache, dass das OLG Hamm die Revision gegen sein Urteil
zugelassen hat, ist die Sache bereits beim Bundesgerichtshof anhängig.
Dessen Entscheidung kann mit Spannung erwartet werden. Bis dahin
herrscht für die Praxis erst mal Rechtsunsicherheit.
Nach der vorzugswürdigen Auffassung des OLG Celle sind
Honorarvereinbarungen nicht mehr deshalb unwirksam, weil sie die
Mindestsätze der HOAI unterschreiten oder deren Höchstsätze
überschreiten. Infolge der EuGH-Entscheidung ist es von Rechts wegen
nicht mehr zulässig, getroffene Honorarvereinbarungen an den Mindest-
und Höchstsätzen der HOAI zu messen.
Im Beispielsfall kann der Architekt nach der Auffassung des OLG Celle
nicht 35.000 Euro verlangen, sondern nur die vereinbarten 25.000 Euro.
Mit dieser Entscheidung können sich Architekten und Ingenieure nach
Vertragsschluss, in dem sie zunächst ein die Mindestsätze der HOAI
unterschreitendes Honorar vereinbart haben, nachträglich nicht mehr auf
die verbindlichen Mindestsätze der HOAI berufen und mehr als das
vereinbarte Honorar fordern. Dagegen konnten sich Bauherren bisher nur
in sehr seltenen Ausnahmefällen erfolgreich wehren.
Nach Auffassung des OLG Hamm kann der Architekt hingegen weiterhin
35.000 Euro verlangen.
Es steht Architekten und Ingenieuren sowie Bauherren aufgrund der
Vertragsfreiheit frei, auch zukünftig in Anlehnung an die HOAI ein
Honorar in Höhe der Mindestsätze vertraglich (wirksam) zu vereinbaren.
Das Urteil bedeutet nicht das Ende der HOAI. Denn der EuGH hat darin
Wege und Möglichkeiten aufgezeigt, wie durch Änderungen der Verordnung
eine Konformität mit der Dienstleistungsrichtlinie zu erreichen ist.
Hier wird abzuwarten sein, was die Bundesregierung und der Gesetzgeber
unternehmen. Letztlich hat sich die HOAI seit ihrer Einführung im Jahr
1976 seit über 50 Jahren in der Praxis bewährt.
Zuerst erschienen im Niederrhein-Manager